Von Maulwürfen, Mexikanern und Museen

03Okt2019

Frische Luft und Natur ist ja ne feine Sache, das will ich auch gar nicht bestreiten, aber nach zwei Tagen an unterschiedlichen Seen und inmitten von unterschiedlichen Bäumen, wollten wir Dustin und Dania noch eine andere Seite von Tampere zeigen. Der Marvolo und ich haben Dienstag ja bekanntlich Uni, weshalb wir unsere Gäste für ein paar Stunden sich selbst überlassen mussten, was die beiden aber völlig in Ordnung fanden und uns versicherten, sie würden das Ratina Shoppingcenter gründlich unter die Lupe nehmen während wir unseren Streberseelen neues Lernfutter boten. Nach dem Kurs schwangen wir uns auf die beliebten E-Scooter und machten uns auf den Weg die beiden zu treffen. Mit unserer Ankunft ging es dann auch los bzw. weiter mit der Shoppingtour. Dustin stellte sich als wahres Shoppingtalent heraus und erweiterte seien Garderobe unter anderem um eine Lederjacke. Nach dem Shoppen ist vor dem Kaffee, soll heißen wir gönnten uns Milkshake, Frappé und Co. und machten uns wieder auf den Heimweg mit unserem neuen Lieblingsverkehrsmittel: dem Bus. 

Am darauffolgenden Tag hieß es für meinen allerliebsten Mitbewohner und mich "Auf zur Uni!", zur Erinnerung, wir bekommen hier ja kein Geld fürs Netflixen oder Shoppen, nein, wir sind hier im AuslandsSEMESTER und das heißt, man sollte ab und an auch mal Unterricht haben. Nach einer wie immer lustigen Stunde Finnisch, hatten wir unsere lange Mittagspause und nutzten diese auch sinnvoll! Nein, ich meine nicht mit Essen oder Shoppen, sondern mit dem Organisieren einer wiederaufladbaren Busfahrkarte, mit der die Einzelfahrten etwa um die Hälfte günstiger ist und der Bus auch ein bezahlbares Verkehrsmittel wird. In der Zwischenzeit hat Marvolo einen neuen Schlüssel bei einem Autohändler bestellt und wir hatten noch keine Ahnung, wie lange das dauern würde, bis wir diesen Schlüssel erhalten würden. Nach dieser Erledigung trafen wir uns nochmal mit Anette und Dustin im Ratina Shoppingcenter, was sich als wahrer Hotspot für uns zu entwickeln scheint. Auf jeden Fall war das eine lustige Pause und so ging es um 18.00 Uhr beschwingt zurück zum Hörsaal. Die Stunde handelte von Kommunikation in Finnland. Man könnte ja meinen, es gäbe nicht viel darüber zu erzählen (Achtung, Wortwitz haha, was haben wir gelacht), aber es war tatsächlich sehr aufschlussreich. Finnen sind wahre Könige und Königinnen im "Wie vermeide ich möglichst jedes unnötige Gespräch und allgemein jeden Kontakt zu Fremden". Zum Teil empfinden sie sogar das Nachfragen oder waschechten Smalltalk als gesellschaftliches Verfehlen und Untat, da man nicht essentielles klärt oder ein Ergebnis erzielt. Auch im Bus wird grundsätzlich nicht gesprochen und der Finne hofft einfach darauf, dass wenn er die Jacke schließt und den Rucksack auf den Schoß nimmt, dass der Sitznachbar das als Zeichen wahrnimmt und sich erhebt, um ein Aussteigen zu ermöglichen. Hauptsache nicht geredet. Allerdings muss ich hier anmerken, dass die Finnen, die wir bisher getroffen haben, sehr wohl unterhaltsam, kommunikativ und hilfsbereit sind oder es zumindest sein können. Sie möchten nur niemanden mit unnötigem Gerede stören oder nerven und sind sich ihrer besonderen Vorliebe für Stille und Schweigen auch bewusst. Also keine asozialen Maulwürfe, sondern schüchteren Elche - okay, ich weiß selbst nicht, was das bedeuten soll. Die Finnen sind nette und wenn sich sprechen auch sehr direkte Menschen, das wollte ich sagen.

Tadaa, da war es auch schon Donnerstag. Nach zwei Tagen erfolgreichem Shopping waren für diesen Tag drei grobe Programmpunkte auserkoren: Mexikanisches Buffet, Museumsinsel, Eishockey. 

Das mag alles ganz einfach klingen, aber wir hatten da so unsere Startschwierigkeiten: Für die nächsten drei Tage schien uns ein Leihauto wieder mal sehr sinnvoll und deshalb reservierte der Marvolo am Abend zuvor einen Skoda Fabia, den wir "schnell in der Früh" abholen wollten, dann die beiden einsammeln und uns dann auch schon auf zum mexikanischen Restaurant Pancho Villa machen wollten, einer offenbar überaus beliebten und daher florierenden Restaurantkette in Finnland. Ja, das mit dem "schnell in der Früh" entwickelte sich dann doch zu einem "langsam gegen Nachmittag". Um Stirnrunzeln und unnötige Falten zu vermeiden, hier die Kurzfassung:

Zunächst ging es mit dem Bus zu einem Autohaus, in welchem besagter Mietwagenverleiher einen Stand hatte. Da dort weit und breit kein Ansprechpartner war, wählte Marvolo die dort angegeben Telefonnummer, woraufhin uns ein Mann an der anderen Leitung zu verstehen gab, dass wir doch zu einer anderen Filiale in Bahnhofsnähe kommen sollten. Also Bus wieder zurück gen Stadtmitte und zum Bahnhof geeilt. Dort haben wir dann nach über einer halben Stunde das versteckte Büro auch entdeckt, aber: wieder keiner da, Büro geschlossen, alles abgedunkelt. Naja, dann haben wir erneut nochmal angerufen und die Stimme am Telefon sagte uns, der Kollege wäre jetzt zum Autohaus gefahren und würde dort auf uns warten. Kommunikation ist eine hohe Kunst. Nach etwa 3 Stunden Irrfahrt, wilder Suche und Warten, wurden uns dann doch die Autoschlüssel überreicht und wir konnten in den ferrariroten Skoda einsteigen und die bereits hungrigen Gäste zu unserem Mexikaner-Date abholen. Wer hätte es gedacht, dass wir tatsächlich noch an ein Mietauto gelangen würden....richtig, wir auch nicht.

Beim Mexikaner gab es dann zur Belohnung riiichtig gute Burger und Nachos, die wir uns mit großer Hingabe einverleibten. Und das Essen war ja erst der erste Punkt auf der To-do-Liste des Tages und daher ging's mit vollen Bäuchen zum Museokeskus Vapriiki. Das war eine Art Farbikhalle, die mittlerweile zahlreiche Museen beherbergt und für 6 Euro Eintritt hat man dann die Möglichkeit alle möglichen Museen zu erkunden, vom Bürgerkrieg 1918 und einem Lenin-Flügel, bis zum Edelstein- und Gesteinstrakt, einer Gaming- und Spielhallenausstellung, Tier- und Naturkundegängen und schließlich einer eindeutig gruseligen Puppenhaushalle - nur um ein paar zu nennen. Von all den Ausstellungen/Museumsteilen haben mir zwei ganz besonders gefallen, nämlich das Theater-Museum und die Musical Ausstellung rund um das Hippiemusical "Hair". Im Theater und Film-Abteil gab es Requisiten und einen Greenscreen... was soll ich noch groß sagen, eine Kleiderstange voll mit Klamotten aus den 80ern trifft auf knallgelbes Auto trifft auf eine Horde vier Bekloppter, die es sich in den Kopf setzten, alle Kleidungsstücke miteinander zu kombinieren und einen wahren Augenschmauß zu bieten. Man muss dazu sagen, dass wir auch wirklich freie Bahn hatte, keine Augen von Missgönnern oder Neidern uns störten oder gar andere Museumsbesucher weit und breit zu sehen waren. Es folgte wildes und obszönes Posieren im und ums Auto herum, daraufhin ein bis drei Outfitwechsel, was wiederum in absolut bizarres und zugleich passioniertes Fotografieren vor dem Greenscreen mündete: 

Nennt sich Mode.

Formel 100

Als ich den Leopardenschal, den ich kurzerhand zum Haarband umfunktionierte, wieder abgewickelt hatte, die ockerfarbene Lederjacke von den Schultern gestriffen hatte, die lila Lacktasche schweren Herzens zurück auf die Stande hing, die Katzenbrille absetzte und den asiatisch anmutenden Fächer zusammenklappte und zurück in die Jeansjacke schlüpfte, wartete nicht weit entfernt bereits die nächste Gelegenheit sich vollkommen zum Affen zu machen. Oh ja, ich mag sowas. Direkt zwei Gänge weiter, war eine Bühne aufgebaut inklusive Bühnenbild, Lichttechnik und Soundeffekten uuuuund - zu Danias und meiner großen Freude - Kostüme. Wunderbare, alte, burgfräuleinähnliche Gewänder, Kleider, Latzhosen, Schühchen und sogar ein Fettsuit. Da mein Herz schon sehr lange für Theater und dramatische Inszenierungen schlägt, war sofort klar: wir bleiben hier erstmal und lasset die Show beginnen! Da das dabei entstandene Videomaterial den ein oder anderen und im Grunde auch alle Theaterliebhaber möglicherweise nachhaltig verstören könnte und ich weder meinen, noch den Ruf meiner verehrten Begleitungen und Schauspielkollegen schädigen möchte, überlasse ich die Szenen eurer Fantasie und Vorstellungskräften, liebe Leser  😉 Auf jeden Fall war es sehr sehr sehr sehr witzig und zählt mit Sicherheit zu meinen Highlights des gesamten Finnlandabenteuers. Nachdem das Schlachtfeld, ich meine natürlich die Bühne, von uns wieder aufgeräumt hinterlassen wurde, verewigten wir unsere Namen im Besucherbuch und verließen diese absolut großartigen Gänge des Theatermuseums. Auf dem Weg zur Ausstellung diverser Computerspiele, Spielautmaten und Simulatoren oder auch meinem zweitliebsten Teil dieser Museumsinsel in Vapriiki, verhielten wir uns vollkommen unaufällig, staunten über die felsengroßen Edelsteine, testeten alle testbaren Fahrzeuge, wie einen der ersten Busse hier in Tampere und einem alten Drahtesel (siehe Fotos), trafen auf allerhand Waldtiere, rochen an getrockneten Pflanzen, durchwanderten die Entwicklung des finnischen Journalismus und wurden im Handumdrehen und mit Blumenkränzen im Haar zu Hippies. Das Musical "Hair" war in Finnland wohl von besonders großer Bedeutung und gilt bis heute als das beliebteste Musical der Finnen. Ich habe diese unbändige Liebe kurz unter die Probe gestellt, als ich mich an der Karaokemaschine versuchte und mit Mikrofon in der Hand ein schrilles Ständchen trällerte. Alle Überlegungen einer Karriere als singender Hippie sind damit vom Tisch; zwar war die Leidenschaft da, aber so ganz ohne Talent wird das eben ein steiniger Weg, den ich definitv umgehen möchte.  

Er ist und bleibt Radsportfan.

Dustin lief nach diesem musikalischen Intermezzo, was übrigens auch mein Hippiepartner Marvolo zu verantworten hatte, schnurstracks in die nachgebaute Spielhalle mit originalen und vor allem funktionstüchtigen Flipperautomaten, PacMan, Flug- und Rennautosimulatoren und vielen weiteren Spielen für Spielkälber wie uns. Es verging einige Zeit bis wir uns von den Automaten lösen konnten, Generation Zocker halt. Hat jedenfalls großen Spaß gemacht und unsere Reaktionsfähigkeiten herausgefordert. Danach sind wir noch weiter durch die Spieleausstellung gelaufen, wo man auch alles anfassen und ausprobieren konnte bis wir dann an der Eishockey- und Sportgallerie vorbei im Puppenparadies standen. Oder Albtraum. Je nachdem wie man sein Verhältnis zu Puppen und kleinen handbemalten Figuren beschreibt. 

Und ehe man sich versieht, verwandeln sich die Museumsvitrinen der ersten Eishockeykleidung der beiden Heimatvereien Ilves und Tappara in ein waschechtes Eishockeystadion. Wir konnten und wollten D&D keinesfalls die Atmosphäre eines Eishockeymatches vorenthalten und deshalb waren die Tickets für das Spiel "Vasaan Sport vs. Tappara" schneller gekauft als die Teamnamen ausgesprochen. Tappara, der Zweitligist, hat Vasaa mit 5:1 besiegt, weshalb die Stimmung extrem gut war im Stadion und wir natürlich jubelnd mittendrin. - What a lovely day! 

Los gehts, ihr Luchse!

Superfans von Tappara